Anonyme Christen heute

Im vergangenen Jahrhundert hat ein Theologe (Karl Rahner) den Begriff "anonyme Christen" geprägt, und zwar für Menschen, die in ihrem Leben nie mit dem christlichen Glauben und der Bibel in Berührung kamen, aber deren Lebenswandel potenziell der eines gläubigen Christen gewesen war.
Ich fülle den Begriff "anonyme Christen" heute anders, weil mich ein Phänomen in der Christenheit beschäftigt. Immer wieder begegne ich Menschen, die sich aus der Gemeinschaft der Gläubigen verabschiedet haben oder dabei sind sich zurückzuziehen. Sie tun dies nicht, weil sie den Glauben an Gott und das Vertrauen in Jesus Christus verloren hätten. Es ist also keine Abkehr vom Glauben, sondern eine Abkehr von den Gläubigen. Wenn ich nach Gründen frage, werden oftmals zwischenmenschliche Probleme, zeitliche Überlastung und Beschneidung der persönlichen Freiheit erwähnt. Das stimmt nachdenklich!
Lässt sich Christsein in der Anonymität leben? Weshalb fliehen Christen in die anonyme Einsamkeit? Bestimmt führen verschiedene Gründe dazu. Wer in der Gemeinschaft verletzt wurde, braucht Mut, das zu thematisieren. Wer überlastet ist, braucht Mut nicht bei der Gemeinschaft mit anderen zu sparen. Wer sich eingeengt fühlt, braucht Mut seinen Individualismus zu hinterfragen. Das Verheerende am Schritt in die Anonymität ist, dass er keine Arznei gegen die "konstatierte Krankheit" ist, sondern dass die Einsamkeit und die Selbstbezogenheit das Übel bloss vergrössern wird.
Ein anderer Theologe des vergangenen Jahrhunderts hätte dazu vieles zu sagen. Dietrich Bonhoeffer, der selber einige Jahre bis zu seiner Hinrichtung gezwungen war, getrennt von andern Christen zu leben, schreibt in "Gemeinsames Leben": "Es ist nichts Selbstverständliches für den Christen, dass er unter Christen leben darf. Sichtbare Gemeinschaft ist Gnade." Ich wünsche Ihnen immer wieder den Mut sich der Gemeinschaft zuzuwenden trotz Hindernissen, den Mut zur Gemeinde!
Berner Oberländer vom 28. März 2009

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